MyTrueAncestry – DeBunked

Irreführendes Meme von MyTrueAncestey
Quelle: Mytrueancestry auf Facebook.com

Seid ihr auch schon coole Wikinger?

Mit der Memekultur im Internet haben leider auch Falschinformationen einen einfacheren Verbreitungsweg gefunden. Man muss sich nicht mehr durch ellenlange Texte quälen sondern bekommt im Häppchenformat alles, was man nie wissen wollte, serviert und kann das sogar noch mit einem Klick einfach teilen, wenn man hinreichend beeindruckt ist.

Wie in diesem Fall. Die Facebookseite MyTrueAncestry wirbt im Moment mit diesem Meme, das behauptet, es handele sich bei dem abgebildeten Stück um den Helm eines germanischen Barbarenhäuptlings, der im frühen 5. Jahrhundert durch den Limes gebrochen sei. Diese bestialischen Krieger hatten keine Gnade für die in ihrer Moral geschwächten römischen (Milizen).

(Ich übersetz‘ das nur…)

Das Problem hieran ist, dass der Helm in Valsgärde (Grab 8), Schweden gefunden und grob auf das Jahr 650 datiert wurde. Das weströmische Reich endete 476 n. Chr.. Und was genau meint der Autor hier mit „paramilitaries“? Paramilitär ist, wenn die Leute militärische Ausrüstung haben, aber nicht oder nicht ganz in die Organisation des Militärs eingebunden sind. Waren das nicht ganz normale Soldaten am Limes, und ist die Vorstellung, dass die ungenügend ausgebildet waren, nicht längst überkommen? Ich habe Fragen! Z.B. Hä?

Die Geschichte

Also tun wir mal so als gäbe es diese zeitliche Diskrepanz nicht. Da ist jemand in Schweden gestorben, der diesen Helm da bei sich hatte. Und im Verlauf seines Lebens muss er als Barbarenhäuptling der Germanen gearbeitet haben. Und während dieser Zeit als Barbarenhäuptling muss er irgendwann den Limes durchbrochen haben. Vielleicht ja sogar alleine, wer so einen coolen Helm hat steht ja im Verdacht, den alten Lattenzaun einfach Kopf voran eingerannt zu haben.

Problem

Gut, dass das Quatsch ist merkt man ja recht schnell, wenn man sich die Mühe macht und die Eckdaten einfach mal vor sich ausbreitet. Und dass es nicht gut ist, Falschinformationen ins Internet zu stellen, wissen wir spätestens seit Corona. Dass das trotzdem passiert, wissen wir aber auch, spätestens seit uns mit 12 jemand aus der Parallelklasse erzählt hat, dass jemand Kinosessel mit AIDS-Spritzen präpariert hat.

Aber warum machen die das? Was haben die Betreiber von MyTrueAncestry davon, falsche Tatsachen ins Internet zu stellen?

Klicks.

Es geht ja um Aufrufe und Reichweite im Internet. Germanen und Wikinger gehen ganz gut. Wir lieben ja den alten Kampf der guten anarchistischen Barbaren gegen die bösen bürokratischen Römer. Das ist wie bei uns heute, wenn wir zum Amt gehen um unser Gartenhäuschen genehmigen zu lassen, und der Beamte macht einem Schwierigkeiten. Das kann man nachfühlen. Das ist was für’s Herz.

Cash

Wäre das nicht toll, wenn man selbst von so einem coolen Germanenbarbaren abstammen würde? Vielleicht war der ja sogar Berserker im Nebenerwerb! Dann hätte man ja vielleicht sogar auch einen Grund, der erklärt, warum einem im Leben immer wieder Unfairness widerfährt. Die da oben, die Römer sind das, die sind daran Schuld! Ja genau! Aber wie finde ich das raus, ob der behelmte Barbarenfürst mein Ur-ur-ur-ur-[…]-ur-ur-Großonkel gewesen ist?

Da kann MyTrueAncestry helfen! Auf deren Webseite sieht man dann, worum es tatsächlich geht. Man kann da einen Gentest machen lassen und sein genetisches Material mit 10000 Individuen aus der Antike vergleichen lassen. 145 antike Zivilisationen stehen zur Verfügung! Wow! Und natürlich werben sie auch mit dem Birka-Grab, in dem sie die vermeintliche „Kriegerin“ gefunden haben.

Man kann ja vieles

Man kann sicherlich über die Genetik bestimmen, wo Leute anteilig herkommen. Das kann man auch über den Zahnschmelz nochmal eingrenzen. Aber man kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht sagen, zu welchem Zeitpunkt in der eigenen Familiengeschichte welche DNA-Anteile dazugekommen sind. Generell gilt die Faustregel, dass je weiter man in die Vergangenheit zurückgeht, desto verwandter wird man mit allen. Weil wir es eben vermieden haben, (zu viel) Inzest zu betreiben, gibt es einfach unfassbar viele Anknüpfungspunkte zwischen den Familien, sodass jeder auf der Straße auf irgendeine Art und Weise mit irgendeinem Königshaus verwand sein dürfte.

Netterweise ist der kleine Gentest ja gratis, bei MyTrueAncestry. Der Teuerste kostet satte 844 $ (802,69 €) und da ist man natürlich mit dem Deluxe-Paket versorgt. Und ich befürchte, auch die sind auf den Paleo-Diet-Zug aufgesprungen, wenn ich mir ansehe, was in den jeweiligen Paketen so drin ist.

Fazit?

Werbung lügt. Man ist aber eigentlich gewohnt, dass die Werbung nur über das eigene Produkt lügt. Wäsche und Zähne werden im Fernsehen immer ein bisschen weißer als in der Realität. Wenn man „Wo ist der Deinhard“-rufend ein fremdes Schlagzeug zerstört, muss man in der Regel Schadensersatz zahlen. Und ob die Fruchtzwerge tatsächlich in Gänze so wertvoll wie ein kleines Steak sind, wenn sie anders als Steaks Zucker enthalten, ist auch nicht abschließend zu klären. Aber bis da hin sind die Lügen in ihrem eigenen Bezugssystem geblieben. Die Problematik mit Werbebildern wie dem von MyTrueAncestry ist, dass sie aufgebaut sind wie kurze Factsheets. Und weil das nicht auf Faktenvermittlung sondern Bedürfnisbefriedigung ausgelegt ist, verteilt sich so ein Bild natürlich viel einfacher. Man teilt etwas, was wirkt wie ein Fakt und kann damit ein bisschen vor seinen Freunden angeben, für was für exotische Themen man sich interessiert.

Ja, irgendwie wird man wahrscheinlich schon herausfinden, ob man genetisch Anteilig Vorfahren in bestimmten Regionen der Welt hat und ja, vielleicht kann man, wenn man sich ein bisschen aus dem Fenster lehnt, ganz ganz grobe Rückschlüsse ziehen, aus welchem Kulturkreis man kommt. Das schreibe ich jetzt mit sehr großem Zähneknirschen. Weil eigentlich sind die Zeiträume, in die man da verortet werden soll, sehr lange her. In unserem Beispiel wäre das der Einfachheit halber einmal das Jahr 500 n. Chr., das ist 1500 Jahre her. Das sind über 40 Generationen. In jeder Generation verdoppelt sich die Anzahl der Vorfahren. Das heißt wenn man 1000 Jahre (ca. 30 Generationen, also 2^30) zurück geht kommt man auf 1.073.741.824 einzelne Vorfahren. Das ist nur noch eine Punktwolke von einer Statistik. Selbst, wenn man so etwas wie Ahnenschwund einrechnet.

Aber ja. In der heutigen Zeit, mit all den digitalen Gadgets, dem Zwang für seinen Job umzuziehen und den immer kleiner werdenden Familien wünschen sich die Leute natürlich etwas, was sie mit einer Art Heimat verbinden können. Und natürlich kann man dieses Gefühl dann auch für 844 $ verkaufen. Nur darf man bezweifeln, dass der kulturelle Einfluss der eigenen Vorfahren weiter zurückreicht als die letzten 2-3-4 Generationen. Insbesondere, wenn man in solchen Durchgangsgebieten wie Europa oder den USA lebt, wo es zu Völker- und Einwanderungswellen gekommen ist.

Zusammengefasst bewerben sie also ein Lifestyleprodukt, das einem eine wohlige Heimatillusion bringen soll, mit Quatsch, der nicht stimmt.

 

Wikipedia: Ahnenschwund

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