Die „Genetic Disk“ und die Internetmythen

Die Genetic Disk auf dem Prüfstand

Die Genetic Disc aus KolumbienDas ist die „Genetic Disk“. Und im Folgenden fasse ich mal zusammen, was es im Internet dazu zu finden gibt.

Gefunden wurde diese im Durchmesser 20-22 cm große Scheibe in Kolumbien von einem Mann namens Jaime Gutierrez-Lega. Sie wiegt 2 Kilogramm und besteht aus Lydit. Auf beiden Seiten ist sie mit figürlichen Darstellungen beschnitzt und man hat sie angeblich auf 500 vor Christus datiert und der Muisca-Kultur zugeschrieben. Alternativ wird auch angegeben die Scheibe sei 6000 Jahre alt. Die Bilder auf beiden Seiten stellen wohl die Entstehung menschlichen und amphibischen Lebens dar, von der Befruchtung der Eizelle bis zum Embryo ist alles dabei. Der Stein sei so hart, dass die Menschen ihn damals nicht hätten bearbeiten können.

Ein OOPART

Die Runde machte dieser undatierte Fund als sogenanntes OOPART, ein Out of Place Artifact. Kurz gesagt sind OOPARTS wohl Artefakte, die irgendwo gefunden wurden, aber nicht dort hin passen. Z.B. passen das Material und die Bearbeitung nicht zu der Schicht und damit der Zeit, in der das Objekt gefunden wurde oder die Bearbeitung ist einfach zu komplex und auf eine Art erfolgt, die man der dort vorherrschenden Kultur nicht zuschreibt. Oder das Material hat es dort im Allgemeinen nicht gegeben.
Undatiert ist der Fund deshalb, weil man lediglich weiß, dass er 1964 gefunden wurde aber sonst nichts. Kein genauer Fundort, keine Grabung, keine Beteiligten bis auf einen.

Und wie das mit unerhört unerklärlichen Artefakten nun einmal so ist, wurden dann auch sehr schnell Fragen laut. Das Material, Lydit, sei für die Muisca um 500 v. Chr. viel zu hart gewesen, um es zu bearbeiten. Außerdem sei Lydit ein Gestein, das in der Tiefsee entstünde und daher kaum einfach so in Kolumbien herumliegen würde. Und natürlich waren die Illustrationen auf der Scheibe der Anhaltspunkt dafür, dass sie ein Zeitzeuge einer uns unbekannten fortgeschrittenen Zivilisation sein muss, schließlich sehe man dort ja ganz klar die Entwicklung von der Spermie und Eizelle hin zum Embryo. Und das nicht nur beim Menschen sondern auch bei einem wie auch immer gearteten Amphib.

Beginnen wir mal, das ganze aufzudröseln.

Wer ist eigentlich Jaime Gutierrez-Lega?

Gute Frage. Jaime Gutierrez-Lega, Jahrgang 1932, wurde in Bucaramanga, Kolumbien geboren. Er machte am Chouinard Art Institute in Los Angeles, USA, seinen Bachelor im Fach „Industrial Design“ bzw. „applied art“ und man könnte ihn daher als Künstler einordnen.

Und wie hat er die „Genetic Disk“ gefunden?

Auch eine gute Frage, die man nur leider nicht beantworten kann. Es gibt keine Informationen über die Umstände und auch keine Äußerungen von Gutierrez-Lega. Das ist natürlich nicht gut.

Aber irgendwann ist der Fund in einem Museum aufgetaucht und seitdem ist er ja wissenschaftlich bekannt. Und das kam so:

Im Jahr 2001 kam ein Herr Klaus Dona auf eine Frau Dr. Vera M.F. Hammer im Rahmen einer Ausstellung namens „Unsolved Mysteries“ in Wien zu. Diese Ausstellung befasste sich mit „Unerforschten Phänomenen und rätselhaften Funden der Menschheitsgeschichte“ und zeigte Exponate unter anderem aus Privatsammlungen. Herr Dona bat Frau Dr. Hammer, an manchen der Exponate eine Röntgenbeugung zu machen.

Kurzer Exkurs: Was ist eine Röntgenbeugung?

Röntgenbeugung oder auch Röntgendiffraktion (Abkürzung: XRD) ist, wenn sich Röntgenstrahlen beugen. Soweit so klar. Man führt diese Untersuchung an geordneten Strukturen wie z.B. Kristallen aus. Geordnete Struktur heißt in dem Fall, dass die Atome bzw. Moleküle aus denen dieses Objekt, also der Kristall, besteht, auf eine bestimmte Art geordnet sind und nicht durcheinander fliegen wie z.B. Gas. Diese Untersuchungsmethode heißt Röntgendiffraktometrie. Kurz gesagt, man kann damit bestimmte Materialien untersuchen und feststellen, woraus was ist.

Das Ergebnis

Das Ergebnis war, dass viele Objekte tatsächlich modernen Ursprungs waren, also Fälschungen. Also mussten Frau Dr. Hammer und auch andere Wissenschaftler des Naturhistorischen Museums in Wien den Besitzern der Objekte und auch Herrn Dona die unschöne Wahrheit mitteilen. Leider war das nicht das, was Herr Dona hören wollte.

Manche der Objekte waren einfach natürlich entstandene Kuriositäten, die aber wissenschaftlich erklärbar waren. Und die anderen Objekte waren einfach Gegenstände aus Touristenshops. Der einzige wissenschaftliche Kommentar, der tatsächlich zur „Genetic Disk“ gemacht wurde, war, dass sie wohl aus Feldspat, Quarz und Mica (Glimmer) besteht. Der damalige Direktor des Museums stellte die Vermutung an, dass es sich möglicherweise um Lydit handeln könnte oder Lydit ein Bestandteil des Materials sein könnte, aus dem sie gefertigt wurde. Was es jedoch nicht gab, war eine zeitliche Einschätzung. Frau Dr. Hammer ist eine Mineralogin. Deshalb sagte sie auch, dass es gar nicht ihre Kompetenz sei, diese Scheibe einer Kultur zuzuordnen. Sie arbeitet(e) seit 1992 am Naturhistorischen Museum in Wien in der Abteilung für Mineralogie und Petrographie.

Und wer ist Herr Dona eigentlich?

Herr Dona bezeichnet sich selbst als „Spirituellen Archäologen“. Wikipedia sagt über ihn, er sei Kulturmanager, Ausstellungs-Organisator und Publizist pseudowissenschaftlicher Werke. Offenbar widmet er sich in seinen Vorträgen „ungeklärten Rätseln der menschlichen Vergangenheit“ und genießt, ebenfalls laut Wikipedia, unter Esoterikern hohes Ansehen.

Er behauptet, Geologen der Universität Bogotá datierten die „Genetic Disk“ auf eine prähistorische Epoche und die neuesten Untersuchungen hätten keine Hinweise darauf feststellen können, dass die Scheibe eine Fälschung sei. Die Namen der involvierten Forscher nennt er allerdings nicht.

Hey, Moment mal…

Hat er gerade gesagt, dass Geologen die Scheibe datiert hätten? Hierbei muss man wissen, dass Geologen sagen können, wie alt ein Gestein ist und aus welchem Material es besteht und vielleicht können sie sich auch anschauen, ob es auffällige Bearbeitungsspuren wie Kratzer gibt. Ich gehe einfach davon aus, dass die auch Auflichtmikroskope haben. Geologen können einem erklären, woher das Gestein kommt, das man da grade in den Händen hält, aus welcher Region der Welt, ob es in einem Vulkan entstanden ist oder in der Tiefsee. Aber eine zeitlich-kulturelle Einordnung holt man sich eigentlich bei Archäologen ab. Geologen können sagen, dass der Stein vor mehreren Millionen Jahren entstanden ist. Archäologen sind die, die feststellen, dass der gleiche Stein vor 2000 Jahren durch einen Römer geworfen an der Stirn eines Germanen gelandet ist.

Offenbar existiert ein Youtube-Video, in dem Dona selbst sagt, dass man das Alter der „Genetic Disk“ nicht bestimmen und daher nur raten könne. Und dabei sei man auf ein Alter von 6000 Jahren gekommen, weil man annimmt, das Objekt sei Älter als sämtliche Zivilisationen in der Gegend. Leider gibt er auch da nicht an, welche Wissenschaftler denn nun genau diese Scheibe datiert haben wollen.

Es ist leider schwierig, Steine zu datieren. In der Regel möchte man ja nicht wissen, wann der Stein, aus dem das Objekt besteht, entstanden ist, sondern wann er von wem bearbeitet wurde. Den Stein zu datieren führt gerne mal zu einem Zeitpunkt vor vielen Millionen Jahren, eben als der Stein entstand. Und das hat, da wir auf der Erde Umwälzungsprozesse und Kontinentaldrift und Erosion haben, selten das Potenzial, etwas über die Kultur zu verraten, die den Stein verwendet hat.  Dazu benötigt man nämlich einen…

Fundzusammenhang

Der Fundzusammenhang ist wichtig, wenn man ein so erstaunliches Artefakt wie diese „Genetic Disk“ historisch und kulturell einordnen möchte. Wo genau hat sie gelegen? In wie vielen Metern tiefe wurde sie gefunden? Wurden weitere Dinge in ihrer Nähe gefunden? Gab es organische Anhaftungen auf der Scheibe, die man sehr wohl hätte datieren können? Schließlich findet man in den Alpen ja auch Ammoniten, die durch die Aufschichtung der Gesteinsmassen einfach irgendwann da oben gelandet sind. Man bedenke, dass man mit der C14-Methode ja organische Materialien sehr wohl datieren kann, nur eben keine anorganischen wie Steine. Für welche Kulturen ist das Gebiet bekannt? Gab es Handelsrouten oder Völkerwanderungen? Wenn man so ein Artefakt aus seinem Fundzusammenhang reißt, ohne dass ein Archäologe sich entsprechende Notizen dazu machen kann, wird es leider wissenschaftlich ziemlich wertlos.

Muisca-Kunst

Es gab ja den Versuch von Dona, die „Genetic Disc“ den Muisca zuzuschreiben. Die Muisca gehörten zu den Chibcha, einem indigenen Volk in Südamerika. Sie ähnelten den Inka und hatten ebenfalls gut funktionierende Bewässerungssysteme und wie so oft waren sie, nachdem der Spanier Gonzalo Giménez de Queseda sie mit seinem 150 Mann starken  Trupp entdeckte, dem Untergang geweiht und im 18. Jahrhundert ziemlich ausgestorben. Die Muisca kannten bereits Legierungen und waren auch Goldschmiede und belieferten die Inka mit ihren Waren als Hauptlieferanten. Offenbar sind die Chibcha auch der Ursprung für den Eldorado-Mythos, weil sie ihren Herrscher rituell mit Goldstaub bedeckten.  Und dann kamen die Spanier und den Rest kennt man.

Wer in der Lage ist, Legierungen herzustellen ist in der Regel auch in der Lage, schöne Bilder in Steine zu schnitzen. Meistens geht das Steineschnitzen den Legierungen zeitlich voraus. Es gibt in der Überlieferung, von wann die „Genetic Disk“ denn nun sein soll, leider eine 5500 Jahre umfassende Diskrepanz. Aber wenn man sich daran hält, dass die Scheibe den Muisca zugeschrieben wird, dann wären sie selbstverständlich in der Lage gewesen, einen Stein wie Lydit zu bearbeiten. Lydit ähnelt in seinen Eigenschaften einem anderen bekannten Stein, nämlich dem Feuerstein.

Es wurde ja behauptet, der Lydit sei so hart, dass die Menschen ihn damals nicht hätten bearbeiten können. Einerseits liegt dem Gedanken natürlich der gute alte Rassismus zugrunde, andererseits aber auch ein Irrtum. Ein besonders harter Stein ist nicht „besonders unmöglich“ zu bearbeiten. Die Bezeichnung „hart“ hat viel mehr damit zu tun, wie der Stein bricht, wenn er denn bricht. Lehm beispielsweise ist weich und wenn er bricht hat er weiche, rundliche Kanten. Wenn ein Feuerstein bricht dann entstehen sehr scharfe Kanten, die bekanntermaßen ja als Klingen verwendet wurden. Aus der Traum von der unbekannten Hochkultur, die Steine bearbeiten konnte, die sonst keiner bearbeiten konnte.

Die Motive

Aber lassen wir uns einmal darauf ein. Tun wir mal so, als wäre die „Genetic Disk“ tatsächlich 500 Jahre alt und von den Muisca hergestellt worden. Die Motive auf der Scheibe zeigen ja ganz offenbar den Verlauf der Befruchtung, der embryonalen Entwicklung bis hin zur Geburt. Ignorieren wir zunächst einmal, das der Stil der Darstellung auf der Scheibe nicht zu dem vorherrschenden Stil der Muisca passt und widmen uns zunächst der anderen Seite, der Seite mit der Darstellung der amphibischen Entwicklung.

Geht man also einmal davon aus, dass man hier tatsächlich die Entwicklung einer Amphibie sieht, kann man sich einmal fragen, ob das denn überhaupt sein kann. Hätten die Muisca Amphibien gekannt? Und da muss man ganz klar sagen ja. In Kolumbien gibt es Frösche. Und der Entwicklungszyklus von Fröschen ist gut beobachtbar. Der Laich ist durchsichtig und man erkennt zunächst die beinlosen Kaulquappen, die schließlich wachsen, Beine entwickeln, ihre Kiemenatmung aufgeben und dann an Land gehen. In einer spiritistischen Gesellschaft wäre dieser Vorgang durchaus auch als magisch vorstellbar.

Und wenn man jetzt davon ausgeht, dass die Scheibe aus einer Gesellschaft kommt, in der die medizinische Versorgung eine andere ist als die heutigem dann kommt man auch noch zu anderen Schlüssen. An der Stelle nehme ich die Scheibe aus dem Kontext der Muisca einmal raus, weil das einfach nicht passt und setze sie in den Kontext einer rein theoretischen Modellgesellschaft aus einer ähnlichen Zeit in einem ähnlichen geographischen Gebiet. Nur eben nicht real. Man kann davon ausgehen, dass die Menschen damals in einem anderen Maß als wir heute Kontakt mit der Kindesentwicklung, Geburten und auch Schwangerschaftsabbrüchen und Fehlgeburten hatten. Es mag also sein, dass den Menschen menschliche Föten in unterschiedlichen Entwicklungsstadien bekannt waren. Es mag auch sein, dass dann Parallelen aufgrund optischer Ähnlichkeiten hätten gezogen werden können. Und diese Ähnlichkeiten hätten so signifikant sein können, dass man die Notwendigkeit gesehen hätte, sie in Stein festzuhalten. Und es würde erklären, wie es zu einer Darstellung von „Spermien“ auf der Scheibe kommt, obwohl zu diesem Zeitpunkt das notwendige Mikroskop um diese zu erkennen noch gar nicht erfunden war.

Das Problem

Das Problem ist nur die Belegbarkeit davon. Auch wenn das wie eine schöne, schlüssige Theorie klingt, die das Problem mit dem Mikroskop auffängt und einen Unterbau dafür liefert, warum die Scheibe dann doch noch echt ist, kann ich das so nicht stehen lassen. Denn: Wenn man die Scheibe linear abarbeitet, kommt man gar nicht erst zu dem Punkt, wo man mit der Interpretation der Abbildungen anfängt. Eine Interpretation braucht immer Kontext. Es ist gar nicht klar, woher die Scheibe tatsächlich stammt, welchen Wissensstand der Erschaffer hatte, und es ist dann auch müßig, über die Bedeutung der Abbildungen zu spekulieren, weil das ganze Ding sehr wahrscheinlich ein modernes Kunstwerk ist. Setzen wir die Entdeckung der Scheibe mal in einen historischen Kontext stellen wir fest, dass im Jahr 1964 die Alternativ-Archäologie und Präastronautikbewegung bereits im Gange war. 1968 kam Erich von Däniken mit seinem ersten Buch auf den Markt und diese Welle sollte noch eine ganze Weile nicht abebben.

Fazit

Ich würde mich wirklich über die Entdeckung von unbekannten Hochkulturen freuen, über Stargates, über Aliens die auf der Erde waren und hier einen Garten Eden-Kit hinterlassen haben. Aber nur unter der Bedingung, dass das ganze wissenschaftlich nachgewiesen wird. Sobald man das Terrain der Wissenschaftlichkeit verlässt landet man sehr schnell bei den Bauernfängern und Beutelschneidern der Neuzeit. Ich sehe sämtliche Wissenschaften als eine Art riesiges, gemeinsames Puzzle, das täglich neue Teile dazugewinnt und das macht Spaß, das zu verfolgen und davon zu lernen. Ich sehe nur leider auch, dass viel zu oft versucht wird, sich mit windigen Methoden und schieren Lügen zu profilieren und am Ende Geld damit zu machen. Und das wiederum bremst die Wissenschaften aus, was furchtbar schade ist. Mit wissenschaftlichem Vorgehen nähert man sich zum Glück sehr schnell der Wahrscheinlichkeit, ob etwas echt oder ein Fake ist. Und der Punkt dabei ist, solche Artefakte wie diese „Genetic Disk“ zur Diskussion zu stellen und sich nicht beleidigt zurück zu ziehen, wenn man von Wissenschaftlern etwas hört, was einem nicht passt. Das Wichtigste ist schließlich der Diskurs. Denn nur damit schafft man es, wenn ich mir diesen idealistischen Nebensatz mal erlauben darf, tatsächlich voran zu kommen.

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